Manche Journalisten, die es mit der Genauigkeit selbst nicht so ernst nehmen, werfen YouTubern vor, sich nur um Schminke zu kümmern. Ihr hohes Ross sollten sie dabei verlassen und YouTube als Medium endlich ernst nehmen.

Sie hat es getan, eine Stunde lang hat sich die wahlkämpfende Bundeskanzlerin gerade Fragen von YouTubern gestellt, die sich eigentlich viel besser bei Schminktipps und Online-Games auskennen.

Diesen Satz sprach Henning Hübert, Moderator von @mediasres, dem Medienmagazin des Deutschlandfunks, in der Sendung des 16. August. Ein Satz, der zeigt wie sehr professionelle Medienmacherinnen und -macher nach wie vor daran scheitern, das Internet zu verstehen. Ein Satz, der für die YouTuber nur Verachtung übriglässt.

Um das gleich vorweg zu sagen: Keineswegs sind es, wie so oft zitiert, [[DIE MEDIEN]], die in diesem Fall versagt haben. So hat sich beispielsweise Christian Meier bei WeltN24 sehr differenziert mit den Rahmenbedingungen des Interviews auseinandergesetzt, hat Parallelen zu Fernsehformaten erkannt und den YouTubern eine gute Vorbereitung attestiert. Julian Heißler setzte sich auf tagesschau.de hingegen mit den konkreten Inhalten und tat dies auch durchaus differenziert. Dass dabei die Frage nach dem Lieblingsemoji der Kanzlerin nicht außen vor bleiben darf, ist klar. Aber diese Frage sollte dann auch behandelt werden, als das, was sie ist: Eine kleine, persönliche Frage zwischendurch.

Viele Medienmenschen scheinen das aber nicht verstanden zu haben, genauso wie sie die Bedeutung eines Interviews mit relevanten YouTubern nicht verstehen. Relevanz definiert sich eben nicht rein durch inhaltliche Tiefe. So mag die Frankfurter Anthologie in Tradition von Marcel Reich-Ranicki aus literarischer Sicht höchst relevant sein, erreicht im YouTube-Kanal der F.A.Z. aber teilweise auch nur 64 Aufrufe. Nein, Relevanz wird eben auch durch Masse erzeugt. Und wenn die vier YouTuber MrWissen2go, Ischtar Isik, ItsColeslaw und AlexiBexi Millionen erreichen, dann sind sie nun einmal auf eine Art relevant. Ob einem gefällt, mit welchen Inhalten sie diese Menschen erreichen ist dabei völlig gleich, sofern sie sich auf dem Boden unserer Verfassung bewegen.

Nicht nur Schmink-Tussis und Zocker-Deppen

Keine Frage, man muss das nicht gut finden, was die Damen und Herren bei YouTube machen. Ich selbst tue mir die Inhalte auch nicht an. Aber sie mit einer hochmutigen Arroganz einfach so als Schmink-Tussis und Zocker-Deppen abzutun ist nicht nur dämlich, sondern ignoriert die Realität. Und nein, niemand hat das mit den Tussis und Deppen wirklich gesagt, aber so klingt es beispielsweise bei Henning Hübert.

Es ist dann auch völlig wurscht, ob die vier YouTuber, wie Steven Geyer auf dem Nachrichtenportal der Frankfurter Rundschau feststellt, nur dieselben altmodischen Fragen wie herkömmliche Journalisten stellen oder sich das ganze anfühlt wie ein Sommerinterview: Fakt ist, dass damit eine Vielzahl von Leuten erreicht werden, die sich die Fragen von herkömmlichen Journalisten nie anhören würden und die von der Existenz der ZDF-Sommerinterviews mutmaßlich gar nix wissen.

Ob es nun nachhaltig gelingt, Jugendliche für Politik zu begeistern, oder ob es scheitert, wie Stefan Koldehoff in seinem Kommentar der @mediasres-Sendung meint sei nun einmal dahingestellt. Selbst wenn es aber kein nachhaltiger Effekt ist, so setzen sich die Zuschauer zumindest für den Moment mit Politik auseinander. Viele dieser User würden niemals die Tagesschau einschalten oder die F.A.Z. lesen. Wenn man sich dann in seriösen Medien wie dem öffentlichen-rechtlichen Deutschlandfunk darüber lustig macht, dass diese Jugendlichen sich ein Video anschauen, bei dem die YouTuberin erklärt, dass man gekochte Eier in Scheiben schneiden und mit Salz bestreuen kann, ist das natürlich ein einfacher Gag. Dass aber Journalisten lieber die schnelle Pointe verwerten, anstatt die Menschen ernst zu nehmen, die immerhin auch Rundfunkbeiträge zahlen und damit auch von ihnen angesprochen werden sollen, dann sagt das mehr über das journalistische Rollenverständnis als über die Generation YouTube.

Noch schlimmer finde ich übrigens, wenn verschiedene Medien alleine die Zahl von etwa 55.000 Menschen zitieren, die das Interview live verfolgt haben, wie es beispielsweise Michael Hanfeld auf FAZ.NET tut. Auch das zeigt: Nix verstanden. Schön und gut, dass es live vielleicht mehr Sinn ergibt mitzukommentieren, der Sinn der Plattformen ist es aber gerade, dass man NICHT live dabei sein muss, um alles mitzubekommen. Insgesamt hatte das Video am späten Abend des 17. August schon über 1,3 Millionen Aufrufe. Klar, das sagt wenig darüber aus, wie lange das Video gesehen wurde, aber wenn mit der Zahl von 55.000+ insinuiert wird, dass ja reichweitenmäßig keine wirkliche Relevanz gegeben sei, dann ist das grob irreführend.

Wenn [[echte Journalisten]] journalistische Standards ignorieren

Stefan Koldehoff zitierte in seinem Kommentar auch einen nicht näher spezifizierten Kollegen, der folgende Worte geschrieben haben soll: [[Jedesmal, wenn Frau Merkel mit einem YouTuber spricht, stirbt ein echter Journalist.]] An dieser Aussage, so Koldehoff, sei etwas dran. Ich konnte einen solchen Tweet nicht finden und vermute, dass es ihn nicht gibt. Alleine schon, weil Koldehoff es nicht schafft, seine Quelle ordentlich zu benennen. Aber gut, nur weil man andere nicht als Journalisten sieht, muss man ja noch lange keine journalistischen Standards einhalten. Alles was ich gefunden habe ist dieser Tweet vom hochgeschätzten Comiczeichner Ralph Ruthe, dessen Meinung ich in diesem Fall nicht teile:

Mutmaßlich meinte Koldehoff genau diesen Tweet. Wenn aber ein Journalist, der selbst nicht in der Lage ist, einen Tweet sauber und mit ordentlicher Quellenangabe zu zitieren und mutmaßlich einen (wohlgemerkt wunderbar pointierten) Comiczeichner als Kollegen bezeichnet, aber YouTuber als unechte Journalisten sieht, dann sollte sich der über diese neuen Medien noch einmal kräftig Gedanken machen. Und über seinen Job eventuell auch. Sollte es den von Koldehoff zitierten Tweet tatsächlich in der Form irgendwo da draußen geben, dann nehme ich das als unechter Journalist aber gerne zurück. Korrekturen sind nämlich selbstverständlicher Teil des Handwerks.

Warum viele Medien es wichtig finden, die Klarnamen der YouTuber zu nennen, anstatt lediglich deren YouTube-Alias zu nennen erschließt sich mir im Übrigen auch nicht. Oder wie oft haben sie in Medien schon den Namen Stefani Joanne Angelina Germanotta gelesen oder gehört? Noch nie? Eben. Da schreiben oder sagen die meisten Medien eben Lady Gaga. Sagt ihnen Bernd Weidung etwas? Nein? Viele kennen hingegen Thomas Anders. Und wer zur Hölle ist Anis Mohamed Youssef Ferchichi? Richtig, dabei handelt es sich um Bushido. Warum nutzen Medien bei YouTubern dann nicht auch die Künstlernamen. Aber zugegeben, das ist ein kleiner nicht wirklich bedeutender Randaspekt.

Zumindest aber stellte Henning Hübert später in der Sendung auch fest, dass die YouTuber neben Schminktipps zum Beispiel auch für die Themen Bisexualität und Gesellschaftspolitik stehen. Aber dass diese auch inhaltlich relevanten Themen behandelt werden, ist dann halt doch nicht plakativ genug. Auf der anderen Seite, scheint Hübert mit seinem provokativen Teaser zu Anfang der Sendung eine Art Clickbaiting zu betreiben und kopiert so die Muster des Internets allzu sehr. Wenigstens in diesem Punkt scheint der Moderator das Medium also verstanden zu haben. Ansonsten aber scheint es so, als habe die Kanzlerin das Neuland besser durchdrungen, als es viele Kolleginnen und Kollegen in den klassischen Medien schaffen. Schlimm genug.

Offenlegung: Ich arbeite als dualer Student im Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zu der außerdem auch die Frankfurter Rundschau gehört.

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