Die 40-Stunden-Woche ist Alltag in deutschen Unternehmen. Gerade Start-Ups versuchen jedoch zunehmend, klassische Arbeitszeitmodelle aufzubrechen. Was für Arbeitnehmer angenehm ist, ist für Arbeitgeber auch ein Kostenpunkt.


 

Jeder darf bestimmen, wie viel Urlaub er macht. Was für manchen Arbeitgeber wie ein Horrorszenario klingen muss, ist beim Start-Up einhorn Kondome Realität. Im Jahr 2016 hat das Unternehmen den Versuch gestartet. Heute beschreibt einhorn-Mitgründer Waldemar Zeiler ihn als Erfolg: „Wir glauben nicht an Mitarbeiter, wir glauben an Mitunternehmer“, erklärt Zeiler der Wochenzeitung Zeit. Die Mitunternehmer sind für die Firmenchefs selbstbestimme Wesen. Deswegen dürfen sie auch für sich festlegen, wer wann und wie viel Urlaub macht. Ausgenutzt wird das großzügige Angebot nicht: Als Mitunternehmer hätten die Mitarbeiter stets auch das Wohl der Firma im Blick. Außerdem seien sie sehr viel motivierter und kämen mit guten Ideen aus dem Urlaub zurück.

Ohne Weiteres funktioniert die alternative Urlaubsregelung allerdings aus Sicht der Chefs nicht. Die Unternehmenskultur muss schon dazu passen. Bei den „Einhörnern“ ist das definitiv der Fall: Transparenz und Offenheit spielen hier in unterschiedlichen Bereichen eine wichtige Rolle. So zahlt das Unternehmen beispielsweise auch Gehälter in Wunschhöhe: Alle sechs Monate schreiben die Mitarbeiter den erwünschten Verdienst auf – und bisher sind die Zahlen immer so ausgefallen, dass sich das Unternehmen die Wünsche auch leisten konnte. Neben der offenen Unternehmenskultur, ist also auch Realismus eine Grundvoraussetzung.

An einem Abschied von klassischen Arbeitszeitmodellen versuchen sich auch andere junge Unternehmen. Beim Fahrradzubehör-Hersteller Bike Citizens arbeiten die Mitarbeiter so nur an vier Tagen der Woche, das Regelpensum beträgt 36 Stunden. Das heißt auch: An einem durchschnittlichen Arbeitstag wird neun Stunden gearbeitet. Gesetzlich ist das kein Problem: Solange die Arbeitszeit im Mittel nicht mehr als acht Stunden pro Werktag beträgt, sind bis zu zehn Stunden an einem einzelnen Tag zulässig.

Bauchgefühl: Die Produktivität steigt

Fraglich ist allerdings, ob es der Produktivität hilft. Wirklich messbar war ein Unterschied bei den Bike Citizens nicht, weil die Führung verschiedene Struktur-Veränderungen zur gleichen Zeit durchführte. Unternehmens-Chef Andreas Stückl zeigt sich gegenüber dem Technikmagazin t3n jedoch sicher, dass sich das verlängerte Wochenende positiv auf die Arbeitsleistung auswirkt. Vom Bauchgefühl her, sei eine klare Produktivitätssteigerung bemerkbar: „Denn nach einem langen Wochenende kommen die Kollegen wesentlich entspannter ins Büro. Wenn das keinen Einfluss haben soll, dann weiß ich auch nicht.“

Der Lohn wurde bei den Bike Citizens auf Basis Stundenzahl heruntergerechnet. Bei nur noch 36 Stunden Arbeitszeit pro Woche sinkt also entsprechend auch das Gehalt. Klar ist auch, dass das nicht allen Arbeitnehmern gefällt.

Vom Standard weicht auch das Arbeitszeitmodell beim Softwarehersteller Tandemplay ab: Die Stundenzahl wählt hier jeder Mitarbeiter selbst. Auch an welchen Tagen und wie viele Stunden er arbeitet, entscheidet der Angestellte weitgehend autonom. Gänzlich kommen die Mitarbeiter aber natürlich nicht um Absprachen herum. Wie Bike Citizens-Gründer Stückl sieht auch die Tandemplay-Chefin Anna Kaiser durch das Modell deutliche Fortschritte in der Produktivität: Sie ist überzeugt, dass ihre Kollegen in maximal 30 Stunden das erledigen, was vorher 40 Stunden gebraucht hat.

Das erscheint plausibel. Studien zeigen, dass Arbeitnehmer an einem Achtstundentag im Schnitt jeden Tag zwei Stunden unproduktiv sind. Doch ist das weniger an Arbeit auch ein Kostenfaktor. Im schwedischen Göteborg führte die Regionalregierung 2015 im Pflegesektor probeweise den Sechsstundentag bei gleicher Bezahlung ein. Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Die Pflegekräfte gaben an, glücklicher, zufriedener und ausgeglichener zu sein. Alleine: Für die Stadt Göteborg ist das Modell zu teuer. Umgerechnet 2,2 Millionen Euro Mehrkosten entstanden innerhalb von zwei Jahren.

Einzige Lösung: Lohnverzicht

Die einzige Lösung wäre demnach ein Lohnverzicht. Gerade in schlecht bezahlten Bereichen wie der Pflege können Mitarbeiter es sich aber schlicht nicht leisten, am Ende des Monats mit weniger Geld dazustehen. Wirklich sinnvoll kann die Umsetzung also nur da sein, wo eine Produktivitätssteigerung auch mit einem weniger an notwendiger Arbeitszeit einhergeht. Pflegeheimbewohner brauchen aber Betreuung rund um die Uhr – wenn ein Mitarbeiter innerhalb der sechs Stunden wahnsinnig produktiv ist, ändert das wenig.

Auch im Fall von Tandemplay ist das alternative System nicht die Lösung aller Probleme. Die zweite Chefin des Unternehmens, Jana Tepe, hat erkannt, dass flexible Modelle vor allem dann gut funktionieren, wenn eine Firma nicht allzu groß ist. Bei steigender Größe, steigt auch der Bedarf an Koordination: „Wir müssen uns sogar besser absprechen als Kollegen in klassischen Hierarchien mit festen Präsenzzeiten“, meint sie gegenüber t3n.

Ein mehr an Selbstbestimmung ist aus der Sicht von Tandemplay aber definitiv sinnvoll: „Auf jeden Fall würden wir jedem Unternehmen mehr Flexibilität und Lebensfreundlichkeit empfehlen“, sagt Chefin Kaiser. Dann sind Mitarbeiter zufriedener und produktiver. Die Geldfrage muss natürlich trotzdem geklärt werden.

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