Bei Übermedien kritisiert Andreas Püttmann jene, die die Wahl von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin als Kungelei diffamieren. Das eigentliche Problem ist aber nicht die vermeintliche Kungelei. Es ist, dass der EU-Verdruss durch das Vorgehen gefördert wird.


Ich mag die Politikerin Ursula von der Leyen nicht. Aber ich habe ihre Wahlrede gesehen und glaube, dass die als EU-Kommissionspräsidentin gute Arbeit leisten wird.

Und trotzdem finde ich schade, dass das EU-Parlament sie gewählt hat. Weil sie keine Spitzenkandidatin bei der Europawahl war.

[[Das Parlament ist entschlossen, nur Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu akzeptieren, die als Spitzenkandidaten ihrer Parteien in den Europawahlkampf gezogen sind.]]

Dieser Satz ließ sich im Februar 2018 auf der Website des Europaparlaments lesen – lange vor der Wahl. Und so haben die Parteien ihre Spitzenkandidaten auch kommuniziert – als Europäische Spitzenkandidaten für den Posten als EU-Kommissionspräsidenten.

Wenn Andreas Püttmann bei Übermedien.de nun meint, dass die Spitzenkandidaten als Mittel der Personalisierung genutzt würden, [[obwohl es gar keine europaweiten Listen der Parteien gibt, keine europäische Öffentliche Meinung mit gemeinsamen Medien und keine parlamentarische Demokratie, in der allein die Volksvertretung die Regierung hervorbringt, sie trägt und kontrolliert, wie man dies vom eigenen Land her kennt]], dann hat er damit recht. Nur ist das völlig egal, ob es diesen Rahmen gibt. Politik als Repräsentant der Bevölkerung sollte so handeln, dass der Wille der Wahlbevölkerung im Rahmen demokratischer Grundsätze abgebildet wird. Wenn offen am Wählerwillen vorbeigehandelt wird, ist keinem geholfen. Dann sind die Wählerinnen und Wähler missachtet.

Deutsche müssen Deutsche wählen

Irrsinniger noch ist die Kritik von Markus Söder: Es könne nicht sein, dass ausgerechnet Deutschland bei der Wahl ausschere, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung. Und weiter: Dies sei ein Schaden für das Land. Als müssten deutsche Politikerinnen und Politiker eine Deutsche wählen, nur weil sie Deutsch ist. Ein Schaden für das Land ist viel mehr, dass die Wählerinnen und Wähler vor der Europawahl keinerlei Idee haben können, was am Ende als Ergebnis steht – weil die Politikerinnen und Politiker nachher doch jemand anders wählen als die zur Wahl stehenden Menschen.

Püttmann kritisiert unterdessen auch die Art der Kommunikation:

[[Das beim Ringen um den EU-Kommissionsvorsitz auch unter journalistischen Kommentatoren viral umgehende Wort „Hinterzimmer“ ist ein sprachpolitischer Kunstgriff, um Entscheidungen, die anders ausfielen, als man sich das wünschte, zu diskreditieren.]]

Damit mag er Recht haben – nur ist das gar nicht das eigentliche Problem. Wenn der Begriff verwendet wird, handelt es sich an vielen Stellen viel mehr um eine sprachliche Unschärfe. Es geht nicht darum, dass das Zustandekommen der Entscheidung unbekannt ist oder dass der Prozess nicht Live im Fernsehen übertragen wird. Es geht darum, dass eine Lösung präsentiert wird, die nichts mit dem Wählerwillen zu tun hat und schon deshalb als undemokratisch wahrgenommen wird.

Ursula von der Leyen freut sich über ihre Wahl, zur EU-Kommissionspräsidentin

Interesse an Europa? Scheiß egal.

Dabei schien in jüngerer Vergangenheit – auch durch die Bewegung Pulse of Europe – der Europäische Gedanke wieder viel besser zu Gedeihen. Für viele Menschen aus meiner Generation ist Europa Teil der Lebensrealität. Und das meint nicht nur Reisefreiheit. Die Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen ist 2019 zum ersten Mal seit 1979 wieder angestiegen und auf dem höchsten Stand seit 1994. Das ist eine positive Entwicklung, auch wenn die Polarisierung und Radikalisierung der Debatte sicherlich auch ihren Beitrag dazu leistet. Nur droht die Politik diese im Grundsatz positive Entwicklung mit einer einzigen Personalie wieder einzureißen.

Letztlich aber ist es einigermaßen egal, ob das Ergebnis [[im Hinterzimmer]] oder auf offener Bühne verhandelt wird. Entscheidend ist, wie das Ergebnis ausfällt. Und wenn die Wählerinnen und Wähler das Gefühl haben, man erzählt ihnen vor der Wahl, dass Elefanten gelb sind und nach der Wahl sind sie dann plötzlich grün, dann führt das nicht zu positiver Akzeptanz der Prozesse. Dass der grüne Elefant einen deutschen Passt hat, ist dabei völlig egal. Denn die Wählerinnen und Wähler bleiben frustriert zurück. Und das kann eine EU, die Großbritannien mit großer Wahrscheinlichkeit bereits verloren hat, absolut nicht gebrauchen.