Ironie, Kritik und ein Hauch von Wahnsinn.

Die Zeit, das Takeover-Problem und eine erstaunlich kurze Zündschnur

[[Die Zeit]] hat bei Twitter gestern kurze Zeit eine Falschnachricht verbreitet. Weniger der Fehler selbst ist jedoch das Problem als mehr der Umgang damit. Problematisch ist außerdem, was mit einem Takeover des Twitter-Channels ganz allgemein einhergeht.

Wenn etwas unglaublich klingt, dann sollte man es in der Regel auch nicht glauben. Zumindest aber sollte man als Journalist nochmal genau prüfen, ob es denn wirklich so ist. Ich glaube darauf können wir uns einigen.

Beim Twitter-Account von [[Die Zeit]] sah man das gestern wohl nicht ganz so eng. In den wilden Abend der Stürmung des Washingtoner Kapitols verbreitete sich über das soziale Netzwerk ein Screenshot des Twitter-Profils vom Donald Trumps Vizepräsidenten Mike Pence. Als Titelbild sollten dort Joe Biden und Kamala Harris zu sehen sein. Der Vizepräsident hat also mal eben das Lager gewechselt? Da sollte man doch hellhörig werden.

Es wäre auch wahrlich nicht schwer gewesen, das herauszufinden. Binnen Minuten verbreiteten sich zahlreiche Tweets, die darauf hinwiesen, dass das natürlich nicht Joe Biden und Kamala Harris sind. Es sind Mike Pence und seine Frau. Außerdem hatte Pence das Profilbild schon länger und hat es nicht mal eben im Chaos der Kapitol-Stürmung aktualisiert. Das wäre auch eine seltsame Priorität gewesen.

Zugegeben: Sieht man das Bild, könnte man tatsächlich glauben, den neuen US-Präsidenten und seine Vize zu sehen. Aber da sind wir wieder: Wenn etwas so unglaubwürdig ist, sollte man dann nicht wenigstens mal kurz innehalten und für eine Sekunde recherchieren?

Als Twitter mit all den Hinweisen auf die Falschnachricht längst vollgeschrieben war, wurde auf dem Twitter-Account der Zeit der folgende Tweet veröffentlicht:

Tweet von "Die Zeit" mit einem Screenshot des Twitter-Profils von Mike Pence

Eigener Screenshot

Okay, nun finde ich das alleine schon ziemlich peinlich. Weil ein Medium mit Qualitätsanspruch einen so simplen Fehler macht und dabei offensichtlich nichtmal die geringsten Verifikationsversuche unternimmt.

Aber geschenkt. Was ich noch peinlicher fand war aber, den Tweet dann einfach zu löschen, ohne direkt auf den eigenen Fehler hinzuweisen.

Deswegen habe ich gestern einen Tweet dazu abgesetzt, der auf diesen Fehler hinwies und gleichzeitig Ausdruck meiner Verzweiflung war:

Anstatt nun darauf zu reagieren und zu sagen [[Stimmt, haben wir veröffentlicht, so ein Fehler darf uns nicht passieren.]], entschied sich der Redakteur hinter dem Account zum Frontalangriff auf meinen Tweet überzugehen:

Das sagt für mich vor allem erstmal eins: Hinter dem Account sitzt ein Mensch mit erstaunlich kurzer Zündschnur.

Denn um auf den Fehler hinzuweisen war für mich die einzig sinnvolle Möglichkeit den Screenshot zu veröffentlichen. Der eigentliche Tweet war schon gelöscht. Einen Korrektur-Tweet gab es noch nicht.

Deswegen ist auch der Hinweis, dass der Fehler eingestanden wurde einigermaßen sinnlos. Es stimmt zwar, dass es eine Entschuldigung gab. Die kam aber sechs Minuten nach meinem Tweet.  Und zwar in Form eines kleinlauten Retweets, also nichtmal ein richtiges eigenes Statement:

https://twitter.com/DIEZEIT/status/1346939204387958785

Kann man so machen. Ich verstehe unter echter Fehlerkultur etwas anderes. Zumal ich eben für den Screenshot angegriffen wurde mit der Begründung, dass man sich ja entschuldigt habe, obwohl es die Entschuldigung noch gar nicht gab, als ich den Tweet veröffentlicht habe. Sondern nur den gelöschten falschen Tweet.

Bevor jemand zu spitzfindig wird:

Das hier ist keine Entschuldigung:

Das hier auch nicht:

Das eigentliche Problem

Das wirkliche Problem zeigt sich aber noch woanders: Es liegt in der Takeover-Kultur, die [[Die Zeit]] bei Twitter pflegt. In regelmäßigen Zyklen übernehmen Menschen den Twitter-Account und befüllen ihn, wie es ihnen so gefällt. Es ist also ein Account eines Mediums, befüllt von launigen Einzelpersonen.

Und schon klar, es stehen immer Menschen hinter Postings. Aber wenn klar ist, dass stets ein einzelner Mensch die Postings für einen Account eines großen Qualitätsmediums übernimmt, hat das zwei Komponenten. Einerseits wird die Kommunikation persönlicher. Ja, das stimmt.

Andererseits ist diese einzelne Person im Moment des Takeovers dann einziger Repräsentant der Marken-Kommunikation via Twitter. Jeder Fehler, den die Einzelperson macht wird also der Marke [[Zeit]] zugeschlagen. Ob man das richtig findet oder nicht. Der Tweet steht auch heute nach dem Takeover noch unter der Marke [[Zeit]] im Netz, wenn längst nicht mehr deutlich wird, wer hinter dem Tweet steht.

Es geht mir ausdrücklich nicht darum, auf den einzelnen Redakteur hinzuweisen. Sondern um die Kultur des Takeovers allgemein.

Ob man im speziellen Fall den Fehler nun (wie ich) ziemlich peinlich findet oder halb so wild: Hängen bleibt in der Regel, dass die [[Zeit]] einen Fehler macht. Und in dem Fall auch eine erstaunlich kurze Zündschnur hat. Das muss man sich als Medienmarke dann eben auch leisten können.