Mit [[Skam]] ist dem norwegischen Rundfunk NRK eine Serie gelungen, die trotz fehlender englischer Synchronisation Jugendliche weltweit begeistert. Was macht den Reiz der Produktion aus?

Für gute Fiction sind Skandinavier bekannt. Die verhältnismäßig einwohnerarmen Länder wie Norwegen mit seinen fünf Millionen Menschen, bieten regelmäßig tolle Serien, wie beispielsweise [[Lifjord]]. Etwas mag es da erstaunen, dass der norwegische öffentlich-rechtliche Rundfunk NRK ähnlich wie ARD und ZDF so seine Schwierigkeiten mit der jungen Zielgruppe hat.

Andererseits: Die stark durch die englische Sprache beeinflusste Jugend, die mit vielfältigen Filmen und Serien aus dem anglophonen Raum ohne jegliche Synchronisierung aufwächst, hat natürlich gute Alternativen. Und dennoch ist es NRK gelungen, die Jugend mit einer Serie vor die Endgeräte zu bekommen, die die sozialen Netzwerke intelligent nutzt und zugleich auch in ihrer gesamten Konstitution so nah an seinem Publikum ist, wie es kaum eine Produktion bisher geschafft hat. [[Skam]] heißt die 2015 gestartete Serie, zu Deutsch [[Scham]].

Jede der bisher drei Staffeln stellt einen Jugendlichen in den Mittelpunkt. Zunächst wurde die Geschichte des Mädchens Eva mit ihrem Freund Jonas und ihrer Clique bestehend aus den Freundinnen Noora, Vilde, Sana und Chris erzählt. Nach dieser ersten Staffel, die von September bis Dezember 2015 lief, folgte schon im Frühjahr 2016 die zweite Season. Sie stellt Noora in den Mittelpunkt und erzählt über ihr romantisches Verhältnis zu William, für den sich ursprünglich mal ihre Freundin Vilde interessiert hat. In der jüngst abgelaufenen dritten Staffel kümmerte sich die Serie hingegen nicht mehr um eines der Mädchen, sondern wendete seinen Blick auf Isak, von dem der Zuschauer schon zuvor wusste, dass er seine Homosexualität nur heimlich auslebt. In „seiner“ Staffel lernt Isak den älteren Evan kennen und verliebt sich unheilvoll. Immer wieder werden dabei auch Verbindungen zu [[Romeo & Julia]] hergestellt.

Und auch eine vierte Staffel ist bereits angekündigt. Am Ende der ersten und zweiten Staffel blickte der Protagonist der jeweils folgenden Staffel verheißungsvoll in die Kamera. Folgt die Serie weiter diesem Schema, so würde es in den kommenden Folgen primär um Evan gehen, eben der Love Interest aus der dritten Staffel. Damit würde sich die Produktion sicher einen Gefallen tun, hat sie doch mit den jüngsten Folgen einige Aufmerksamkeit an sich gezogen. Großes Interesse gab es unter anderem in den USA, Frankreich oder Russland, während in Deutschland eher wenig Interaktion sichtbar wurde.

Wohlgemerkt: Eine englische Synchronisation der Serie gibt es nicht und auch eine Untertitelung ist auf legalem Wege nicht zu bekommen. Und trotzdem ist eine Vielzahl von Jugendlichen aus aller Welt dabei. In Staffel drei vermeldete NRK so über eine Million Mediathek-Abrufe je Episode. Diese Zahlen lassen sich aufgrund der internationalen Abrufe zwar nicht vollständig auf die fünf Millionen Einwohner des Landes runterbrechen, aufgrund der weltweit eher spärlichen Kenntnisse der norwegischen Sprache aber wohl zu einem großen Teil. Beeindruckend sind sie in jedem Fall. Die illegalen Abrufe mit entsprechender Untertitelung dürften zum Mediathek-Konsum außerdem noch einmal einen nicht unwesentlichen Anteil hinzuaddieren. Zu diesem Schluss muss man zumindest kommen, wenn man einen Blick in die sozialen Netzwerke wirft, wo vor allem Tumblr und Twitter regelrecht durchdrehen – zum Finale der dritten Staffel schaffte es gar das Hashtag „rememberevak“ in die weltweiten Twitter-Trends. Vor allem die LGBT-Szene feierte die Geschichte um Isak und Evan – und lechzt nach einer Fortsetzung der nicht ganz auserzählten Story. Was aber ist es, dass die Serie so interessant macht?

Die Faktoren sind hier sicherlich vielfältig. Ins Auge springt jedenfalls der durch und durch unprätentiöse Umgang mit Themen wie Sexualität, Religion oder Nacktfotos. [[Skam]] behandelt diese Faktoren lässig wie auch ehrlich, ohne dabei zu beschönigen, vor allem aber nah an der Lebensrealität der jungen Menschen und immer kritisch. Da kommt nach dem gemeinsamen Besuch der Mädchenclique bei der Schulärztin um die Pille danach zu besorgen mal eben eine lockere Partyszene, ohne allerdings die Folgen der Einnahme hinten runter fallen zu lassen. Beim Thema Nacktfotos zeigt Protagonistin Noora in Staffel zwei sogar den Typen an, der ohne Einverständnis Bilder von ihr gemacht und sie veröffentlicht hat – was die norwegische Polizei ganz real begrüßte. Dass die Serie ehrlicher mit den Dingen umgeht als vergleichbare Produktionen, macht aber keinesfalls den gesamten Reiz aus.

Ausstrahlen? In Echtzeit.

Wichtiger noch ist die Form der Ausstrahlung: Gezeigt werden mehrere Clips, die über die Woche verteilt nach und nach online abrufbar sind. Zusammen ergeben diese Clips eine ganze Episode, die schließlich auch in Gänze linear ausgestrahlt wird. Jeder Clip geht ab jenem Zeitpunkt online, zu dem er auch spielen soll. Treffen sich die Jugendlichen also freitags zum Feiern, bekommen die User auch genau dann ihr neues Video. Sind die Protagonisten tagsüber in der Schule, geht der Clip eben mittags online. Zu den Clips kommen noch Social Media-Profile. So sind die Hauptcharaktere allesamt (wohlgemerkt in ihrer Rolle) bei Instagram vertreten. Immer wieder tauchen zudem online aktuelle Chatverläufe auf, bei Facebook werden auch gelegentlich Veranstaltungen erstellt, die im Serienkosmos stattfinden. Wer also wirklich alles mitbekommen will was in der Serie passiert, der muss über die Clips hinaus verfolgen, was in den sozialen Netzwerken abgeht. Ein logisches Verständnis der Episoden ist aber auch ohne diese zusätzlichen Inhalte gut möglich.

Produziert wird die Serie in enormem Tempo – der Dreh von zwei Folgen mit einer Länge von jeweils 20 bis 40 Minuten dauert drei Tage; das alles passiert zudem recht kurz vor Ausstrahlung. Auch der Schnitt geschieht so recht kurzfristig, zumindest da wo er überhaupt nötig ist: Die Serie setzt oftmals auf lange, ungeschnittene Sequenzen. Das sorgt für eine spannende Kombination aus Ehrlichkeit und Intensität – und verursacht anders als man es vermuten könnte nur selten Langeweile.

Schauspieler? Echte Jugendliche.

Ungewöhnlich ist auch die Entstehungsgeschichte. Milieutechnisch ist [[Skam]] in etwa da angesiedelt, wo auch die britische Teenie-Serie [[Skins]] zu finden ist. Wie die [[New York Times]] berichtet ist Serienschöpferin Julie Andem für die Produktion ein halbes Jahr durch Norwegen gereist, um dort mit der jungen Bevölkerung zu sprechen und ihre Sorgen und Probleme kennen zu lernen. Die Orientierung am Zuschauer setzt sich so auch im Casting fort: Fast der gesamte Maincast rekrutiert sich aus den Schülern genau jener Schule, in der die Serie auch ihren Mittelpunkt hat, die Hartvig Nissen skole, kurz Nissen genannt. Gelernte Schauspieler sind die Schüler natürlich nicht und das macht sich an der ein oder anderen Stelle bemerkbar, meistens jedoch sorgt es nur für realistischere Situation zumal unter den 685 Schülern einige bemerkenswerte Talente ausgegraben wurden.

Dass bei einem solchen Phänomen vor allem der US-Amerikanische-Markt sofort auf den Zug aufspringt, darf dabei ebenso wenig überraschen, wie die Tatsache, dass man dort auf eine Adaption und nicht auf eine Synchronisation setzt. XIX Entertainment, die Firma von Simon Fuller hat die Rechte an Skam jüngst erworben. Fuller, unter anderem Erfinder vom britischen [[DSDS]]-Mutterformat [[Pop Idol]] und Ex-[[Spice Girls]]-Manager, will die Serie unter dem Namen [[Shame]] produzieren.

Ein Erfolg ist aber keineswegs gewiss, ist es doch wichtig genau die Tonalität zu treffen, die die Jugend bewegt. Gut möglich, dass Simon Fullers US-Adaption [[Shame]] genau daran kranken könnte: [[Skam]] kombiniert das Spannungsfeld Coming of Age erfolgreich mit den Werten einer offenen norwegischen Gesellschaft. Die Serie hat sich international ihre Zielgruppe gesucht, wird aber in konservativeren bis reaktionären Kreisen kaum ankommen. Für den Erfolg des US-Ablegers spricht hingegen, dass mit Fuller ein Mann am Werk ist, der sich vor allem mit Teenager-Kultur auskennt, weniger aber mit fiktionalen Stoffen. Die Abkehr vom Handwerk Serie in allzu technischer Betrachtung hin zur absoluten Zielgruppenorientierung in vielerlei Hinsicht ist aber insgesamt wohl der Faktor, der den Norwegern den Erfolg brachte.